Späte Mütter

Ein Baby erst mit 40

Frauen entscheiden sich immer später für ein Kind. Jedes vierte Baby hat heute eine Mutter, die älter als 40 Jahre ist. Was bedeutet eine späte Schwangerschaft für die Schwangere, und wie ist es für Kinder, so "alte" Eltern zu haben?

Autor: Christiane Bertelsmann

Erst Karriere, dann ein Kind

Späte_Schwangerschaft: Mutter mit Baby
Foto: © iStock, Ridofranz

Claudia war 41, als sie zum ersten Mal Mutter wurde. „Ich habe bewusst so lange gewartet“, sagt sie. Lieber kinderlos als arbeitslos, das war lange ihr Lebensmotto. In ihrer Arbeit vorankommen, Karriere machen war Claudia schon immer wichtig. Sie ist Anwältin, hat vor fünf Jahren gemeinsam mit zwei Kollegen eine gemeinsame Kanzlei gegründet. Ihre Woche hatte 40 oder 50 Arbeitsstunden. Claudia liebt ihren Beruf. Doch irgendwann, als die Kanzlei etwas besser lief, merkte sie, dass sie doch Kapazitäten frei hatte für jemand anderen. Für ein Kind. Der richtige Zeitpunkt war gekommen. Bald wurde Claudia schwanger. Ihr Mann Jürgen freute sich mit ihr. Dass sie in der Geburtsvorbereitungsgruppe die älteste war, störte sie nicht. Benjamin kam auf natürlichem Wege auf die Welt. Als Claudia ihn zum ersten Mal im Arm hält, spürt sie gleich: Der Zeitpunkt ist ideal. Jetzt, und genau jetzt ist sie reif für ein Kind.

Schwangerschaft ab 40: Immer mehr späte Mütter

Claudia ist kein Einzelfall. Immer mehr Frauen entscheiden sich spät dafür, doch noch Mutter zu werden. Statistisch gesehen liegt das Durchschnittsalter der Erstgebärenden bei 31. Noch vor 30 Jahren zählten Erstmütter im Schnitt 27 Jahre. Waren in der Generation unserer Eltern späte Mütter noch eher die Ausnahme, so nimmt seit Beginn der 90er-Jahre der Anteil der verheirateten Frauen, die mit 35 Jahren und älter ihr erstes Kind bekommen, stetig zu. Innerhalb von zwölf Jahren hat sich die Zahl fast verdreifacht: von 5,7 Prozent auf 16,9 Prozent im Jahr 2003.

Besonders in der Altersgruppe ab 40 beobachten die Statistiker einen geradezu sprunghaften Anstieg. 1991 hatten nur 0,8 Prozent der erstgeborenen Kinder eine Mutter von 40 Jahren und älter, im Jahr 2000 waren es 1,8 Prozent und 2003 bereits 3,9 Prozent. Heute hat jedes vierte Kind eine Mutter, die schwanger ab 40 war.

Gründe gibt es dafür viele: Viele Frauen binden sich erst spät in einer festen Partnerschaft. Außerdem rückt das Thema Karriere stärker in den Fokus. Gut ausgebildete Frauen wollen Berufserfahrungen sammeln und Karriere machen. Nicht umsonst ist die Anzahl der Akademikerinnen unter den späten Müttern besonders hoch. Dazu überlegen heutzutage viele Männer in einem Alter, in dem man früher schon Großvater wurde, ob sie sich überhaupt schon erwachsen genug für ein Kind fühlen. Und nicht zuletzt hat die medizinische Forschung Fortschritte gemacht. Immer mehr Frauenärzte spezialisieren sich auf sogenannte Kinderwunsch-Patientinnen.

 

Ab wann tickt bei der Frau die biologische Uhr?

Studie: Alter wirkt negativ auf Fruchtbarkeit

Das bleibt nicht ohne Folgen: Zwar wünschen sich die meisten Paare zwei Kinder, tatsächlich ist die Kinderzahl pro Familie in Europa aber überall kleiner, denn das fortschreitende Alter der Frauen wirkt sich negativ auf ihre Fruchtbarkeit aus. Den optimalen Zeitpunkt fürs Kinderkriegen - zumindest in der Theorie - haben niederländische Forscher unter Einbeziehung von Geburtenraten sowie der Erfolgsquoten der natürlichen wie künstlichen Befruchtung errechnet, und in einer Studie im September 2015 im Fachblatt "Human Reproduction" veröffentlicht: Demnach sollten Frauen mit 32 Jahren aufhören zu verhüten, wenn sie nur ein Kind haben wollen; mit 27, wenn sie sich zwei Kinder wünschen und bei dreien bereits mit 23 Jahren. Denn die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft sinkt mit jedem Lebensjahr und auch immer schneller. Mit 38 Jahren liegt die Chance, noch zwei Kinder zu bekommen, "nur noch" bei 50 Prozent. Das Prinzip ist vielen Frauen klar, tatsächlich setzen sie aber den Zeitpunkt, an dem die Fruchbarkeit nachlässt, viel zu spät an.

Schwanger mit 40: Risiken bleiben

„Meine Frauenärztin hat mich gleich als Risikoschwangere eingestuft“, sagt Claudia. Doch welche Risiken birgt eine späte Schwangerschaft tatsächlich? Das erste Risiko, wenn man es so nennen will, besteht darin, ob es überhaupt klappt mit der Empfängnis. Die Chance, innerhalb eines Zyklus schwanger zu werden, sinkt mit zunehmendem Alter. Schon ab 30 nimmt die natürliche Fruchtbarkeit allmählich ab. In der Altersgruppe zwischen 38 und 42 warten zwei Drittel der Frauen ein Jahr oder länger auf eine Schwangerschaft.

Claudia hatte Glück – sie wurde innerhalb eines halben Jahres schwanger. Doch nicht jede späte Schwangerschaft geht gut aus. Mit zunehmendem Alter der Mutter steigen das Fehlgeburtrisiko und die Anzahl der kindlichen Störungen. Eines der Hauptrisiken: Fehlbildung des Embryos durch eine Chromosomenstörung. Im Klartext bedeutet das: Der Embryo bekommt zu viele oder zu wenige Erbinformationen mit. Das gehört in dieser Altersgruppe zu den am häufigsten vorkommenden Chromosomenstörungen. Hier liegt das Risiko für Mütter mit 40 bei einem Prozent. „Ich versuche, den Frauen in der Beratung die Angst zu nehmen“, sagt der Berliner Gynäkologe Johannes Schmock, „Es kommt auf die Perspektive an: 99 von 100 Frauen mit 40 Jahren bringen ein Kind auf die Welt, das nicht von Trisomie 21 betroffen ist.“

Ein weiteres Risiko für ältere Mütter besteht darin, während der Schwangerschaft zuckerkrank zu werden. Meist passiert das unbemerkt, Indizien dafür gibt es keine. Besondere Gefahr besteht, wenn die Schwangere übergewichtig ist oder bereits Tot- oder Fehlgeburten hatte. Schwangerschafts-Diabetes kann das Kind schädigen – neben einer erhöhten Fehlgeburtsrate bringen Diabetikerinnen mit einer Wahrscheinlichkeit von zwei bis drei Prozent mißbildete Babys zur Welt. Gynäkologen raten zu einem oralen Glukosetoleranztest (OGT). Der wird in der 24. und 28. Schwangerschaftswoche durchgeführt, allerdings übernehmen nur einige Kassen die Kosten.

Was hat der Vermerk "Risikoschwangerschaft" zu bedeuten?

Späte Mütter: Das Baby ist da – und dann?

Schwangere jenseits der 35 sind nach Erfahrungen von Hebammen und Gynäkologen wesentlich besser informiert und interessiert als jüngere Frauen. Auch Claudia wusste genau, wann welche Untersuchung ansteht, welche Klinik für sie die beste ist und welche Entwicklungsstufen ihr Baby in der ersten Zeit durchleben würde.

Jetzt, da Benjamin auf der Welt ist, strahlt sie eine große Ruhe und Gelassenheit aus. Bewahrt die Nerven, auch wenn er mal länger schreit. Und will trotz aller Liebe nicht Vollzeitmutter bleiben. Schon jetzt hat sie einen Krippenplatz. Wenn Benjamin ein Jahr alt ist, wird sie wieder in ihren Beruf einsteigen. „Nur zuhause zu bleiben, das kann ich mir nicht vorstellen“, sagt sie.

Benjamin wird ein Einzelkind bleiben. Wie lange ihn seine Eltern begleiten können, wissen sie nicht. Wenn Benjamin 24 ist, wird seine Mutter 65 sein. „Dann geht er vermutlich ins Berufsleben.“ Und später, wenn er sich etwas aufbauen will, wird er etwas erben können. In den nächsten Monaten wollen Claudia und ihr Mann ein Testament aufsetzen - für den Fall, dass ihnen beiden etwas zustößt. Der Großvater ist mit 72 zu alt, um für das Enkelkind sorgen zu können. Claudias Mutter ist schon vor zwei Jahren gestorben. Benjamins Onkel soll sich dann um den Kleinen kümmern. Das soll in dem Testament stehen. „Wir werden ihn so erziehen, dass er eine gefestigte Persönlichkeit ist und ohne uns zurechtkomme kann“, sagt Claudia. Gedanken, die sich jüngere Eltern wahrscheinlich nie machen würden.

Die Schwangerschaft ist nicht ohne Spuren an Claudia vorbei gegangen. „Körperlich fühle ich mich wie eine alte Frau“, sagt sie. Sie hat Arthrose in den Knien, die Füße schmerzen, das Kreuz tut weh. Schwangerschaft und Geburt waren eine körperliche Strapaze. Das ruft sich Claudia immer wieder ins Gedächtnis, wenn sie an ein zweites Kind denkt.

Späte Väter: Ist das Dein Opa?

Auch Ida hat sich bald von dem Gedanken verabschiedet, ein Geschwisterkind für ihren Sohn Theo zu bekommen. Ida war 42, als sie zum ersten Mal Mutter wurde. Theo wurde mit Kaiserschnitt geholt. „Die Wunder heilte nur langsam.“ In der Schwangerschaft hatte sie sich blendend gefühlt. Ihr Frauenarzt lobte, er habe noch selten eine so entspannte Schwangere in ihrem Alter gesehen. Die typischen Sorgen – wird alles gut gehen, das Kind ganz gesund sein? – konnte sie ausklammern. Sie arbeitete viel, bis zu zehn Stunden täglich.

Inzwischen ist Theo ein großer, sehr redegewandter Fünftklässler, der mit seinen Eltern die halbe Welt bereist hat. Viele halten Sven, seinen Vater, für seinen Großvater. Theo sei das egal, sagt Ida. Vor ein paar Jahren habe er ganz laut im Bäckersladen gesagt: Das ist mein Papa, und der wird nächste Woche 60. Da war erstmal Ruhe. Und Ida war stolz auf ihren Sohn. „Das war so ein Gefühl: er steht ganz zu uns.“ Die Kinder seiner Halbschwester, also seine Nichten und Neffen, sind nur ein paar Jahre jünger als er.

Ida sagt, dass sie heute viel bewusster Mutter ist, als sie es mit 20 der 25 gewesen wäre. „Mein Selbstbewusstsein ist gefestigter.“ Auch Sven erlebe die Zeit mit Theo intensiver. Seine Töchter aus erster Ehe seien einfach so groß geworden. Es macht ihm nichts aus, wenn er auf den Elternabenden der älteste ist. „Wir sind ältere Menschen“, sagt er, „die trotzdem jung sind“.