echtes Selbstwertgefühl

Hallo,

es geht um zwei Kinder (Kindergarten + Grundschule, 2 Jungs). Ich schreibe jetzt mal einige negative Stichworte, die unseren Alltag momentan belasten:

- Sie trödeln sehr, sehr, sehr viel und scheinen oft einfach unmotiviert / unkooperativ zu sein.
- Sie reden lange, diskutieren alles aufs Letzte, schwindeln leider auch (erschreckend gut!), manipulieren und korrigieren gerne andere.
- Sie fügen sich nicht in Gruppen ein, wollen bestimmen oder eine Extrawurst.
- Sie haben beide eine kurze Zündschnur.
- Sie suchen stark nach Bestätigung und Aufmerksamkeit, auch bei Personen, die sie nicht so gut kennen.
- Der Jüngere haut momentan neuerdings, scheinbar auch ohne Anlass. Der Ältere hatte auch mal so eine Phase, ging aber zum Glück vorbei.

Die unzähligen positiven Eigenschaften und tollen Dinge schreibe ich jetzt nicht, aber keine Sorge, die gibt es auch......
Nur sind die genannten Punkte für mich grade echte Warnsignale.

Ich vermute - korrigiert mich gerne, falls ihr das anders seht - dass ein Schlüssel im Selbstwert liegt. Also damit mein ich nicht oberflächliche Dinge, die sie gut können und für die sie viel Lob / Bestätigung erhalten (da gibt es viel). Sondern tiefer Liegendes - ich bin gut so, wie ich bin. Ich weiß, es dauert sehr lange, bis sich das verbessert. Aber daran will ich unbedingt arbeiten in der Familie (also für alle Familienmitglieder).

Wer hat Anstöße / Anregungen für uns?
V.a. in die Richtung: Wie kann man echtes Selbstwertgefühl beschreiben und helfen es aufzubauen???? Auch Leseempfehlungen willkommen.

Dass wir an uns als Eltern arbeiten müssen, steht außer Frage. Das wissen wir und sind auch im Prozess.

Danke schon mal für's Lesen!

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Durch ein paar Punkte hat man natürlich kein vollständiges Bild der Kinder und erst Recht nicht der Hintergründe.
Allgemein ist meine Erfahrung, dass sich das Selbstwertgefühl im Verlauf der Kindheit entwickelt und hauptsächlich davon geprägt ist, wie man von den direkten Bezugspersonen (meist die Eltern, aber auch andere wichtige Menschen) behandelt wird. Wenn man das Gefühl hat, so gemocht zu werden, wie man wirklich ist, wird das internalisiert und man mag sich selbst auch. Wenn man sich abgelehnt fühlt, führt das zu Selbstablehnung. Wenn man das Gefühl hat, die Eltern sind verblendet (z.B. begeistert davon wie toll die schulischen Leistungen sind oder wie musikalisch begabt man ist, obwohl man sich total anstrengen muss, um im Vergleich mit anderen halbwegs gut abzuschneiden), dann entsteht ein Gefühl, nicht gut genug zu sein.
Ansonsten versuche ich meinen Kindern einen gesunden Selbstwert (und generell eine halbwegs gesunde Psyche) zu ermöglichen, indem ich ihre Bedürfnisse und Emotionen ernst nehme, ohne gleichzeitig meine eigenen Bedürfnisse zu ignorieren (Lernen am Vorbild spielt natürlich auch immer eine Rolle).

Vielleicht ist auch dieses Nachdenken über Selbstwert gar nicht so sinnvoll. Ich möchte meinen Kindern eher vermitteln, dass jeder Mensch gleich viel Wert ist (egal was er kann oder was er für Fehler hat). Sie sollen verstehen, dass die Bedürfnisse aller Menschen gleich wichtig sind und dass es ihre Aufgabe ist, für sich selbst zu sorgen, ohne die Bedürfnisse anderer zu ignorieren. Wir üben miteinander Strategien, wie man das am besten machen kann. Wenn die Bedürfnisse erfüllt sind, braucht man ja in der Gruppe meiner Extrawurst mehr. Wenn man in der Lage ist die eigenen Bedürfnisse zu erfüllen, ohne dabei auf Verbote zu stoßen oder Angst vor Strafen zu haben, gibt es weniger Gründe zu lügen. Wenn man gut mit den eigenen Emotionen und Bedürfnissen umgehen kann, hat man keine kurze Zündschnur mehr.

Das Problem ist, dass wir Eltern meist selbst keinen so tollen Umgang mit Bedürfnissen und Emotionen haben. Da würde ich als erstes ansetzen. (Also lernen die Bedürfnisse hinter den oft problematischen Strategien und Wünschen zu erkennen und ein Miteinander statt ein Gegeneinander zu schaffen.) Ich lerne und übe es teilweise gemeinsam mit meinen Kindern.

Zusammengefasst liegt für mich der Schlüssel tatsächlich in der bedürfnisorientierten Erziehung. Auch in meiner Arbeit als Psychotherapeutin arbeite ich letztendlich am allermeisten damit, den Patienten einen besseren Umgang mit Emotionen und Bedürfnissen zu ermöglichen, weil deren erlernte Strategien aus der Kindheit nicht hilfreich sind.

Wahrscheinlich würde bei euch um weiter in das Thema einzusteigen das Buch "Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt mich in den Wahnsinn: Gelassen durch die Jahre 5 bis 10" am passendsten sein.

Bearbeitet von Inaktiv
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Danke für deine Antwort.

„ Das Problem ist, dass wir Eltern meist selbst keinen so tollen Umgang mit Bedürfnissen und Emotionen haben. Da würde ich als erstes ansetzen. (Also lernen die Bedürfnisse hinter den oft problematischen Strategien und Wünschen zu erkennen und ein Miteinander statt ein Gegeneinander zu schaffen.) Ich lerne und übe es teilweise gemeinsam mit meinen Kindern.“

ja, absolut. Ich glaube, ich muss mich dem stellen. Einfacher wird es nicht werden auf anderen Wegen.

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in das Buch schaue ich mal rein. Leider war ich bisher meistens enttäuscht von Erziehungsratgebern , außer Jesper Juul. so kam ich auch auf das mit dem Selbstwert.

zB über gefühlsstarke Kinder (Nora Imlau), das wirkt auf mich leider nur halbseriös

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fehlender Selbstwert zeigt sich eigentlich durch unbedachte nebensätze, die selbst-abwertend sind oder negatives dauernd bestätigen. - weniger Deine Kinder-typischen Phasenschilderungen.

Ich musste lernen, nicht immer alles aufzulisten und in EINEN topf zu werfen. -- betrachte die Dinge einzeln, regle und erziehe dort, aber Rückschlüsse von so Sammelsurien treffen selten zu.
Klar könnte ein Punkt hier und da auf was hinweisen. -- aber das kannst DU hier nicht ganz schildern noch kannst DU es mit einer Universalantwort lösen.
Mein Sohn ist wegen anderer Sachen in psychologischer Behandlung und ich musste lernen, nicht immer alles sofort zu wollen, alles gleichzeitig und alles in einen Topf zu schmeissen.

Schritt für Schritt. -- einzelne Dinge angehen. -- manches löst sich dann in der Folge automatisch. Das sagt sich leicht, geht oft ewig... aber so sieht es eben aus.

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Danke für deinen Anstoß!

ja , absolut. einerseits sind es alles verschiedene Aspekte, die nicht in einen Topf gehören. so hab ich es bisher auch zu betrachten versucht. Gut, dass du mich dran erinnerst, dass ich trotzdem an allem einzelnen irgendwie weiter machen kann.

andererseits habe ich die Beklemmung, dass was dahinter steckt , dass bei uns in der Familie einfach was im Argen liegt. was ganz Grundsätzliches. wir sind nicht gewalttätig, wir sprechen (meist) freundlich, liebevoll, ruhig miteinander. aber irgendwas Ungesundes/Feindseliges/Grobes scheinen wir ungewollt zu transportieren oder es liegt hier in der Luft.

Ich bin momentan ziemlich am Boden. Die Kinder sind aus meiner Sicht nicht schuld. Sie sind unglaublich starke Charaktere (das hilft ihnen sicher auch, verstärkt aber natürlich auch ihre aktuell problematischen Verhaltensweisen).
Ich denke, sie erleben etwas oder nehmen etwas auf, was irgendwo raus muss.

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Sich nicht einfügen wollen und andere nicht respektieren, indem man sich immer durchsetzen will, hat rein gar nichts mit fehlendem Selbstwert zu tun, im Gegenteil. Das bedeutet, dass die Kinder ihre eigenen Bedürfnisse wichtiger finden als die Bedürfnisse anderer Personen und sich nicht zurücknehmen können/wollen. Das ist häufig bei Kindern so, denen vermittelt wurde, dass sie am allerwichtigsten sind und über allem stehen, deren Wünsche und Bedürfnisse ins Zentrum gerückt wurden. Das klappt, solange die Umwelt des Kindes aus der Familie besteht. Sobald es mit externen Strukturen in Kontakt kommt, gibt es Konflikte, weil da natürlich niemand bereit ist, sich ihren Wünschen immer unterzuordnen.

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Danke auch dir für deine Einschätzung. Ich achte mal ganz bewusst drauf, wann / in welchen Situationen da was dran sein könnte.

Hast du oder jemand anders konkrete Tipps? Jetzt sind Sommerferien und wir verbringen viel Zeit zusammen. Wir Eltern sind bereit, Dinge neu auszuloten.

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Laienpsychologisch würde ich nicht sagen dass das am selbstwert liegt sondern dass sie und ihre Bedürfnisse nicht ernst genommen werden. Also nicht auf Augenhöhe sondern autoritär

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Danke für den Anstoß. fühle mich nicht direkt angesprochen , aber achte auch nochmal drauf

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"ich bin gut so wie ich bin" - ist ein hübsch dahingesagter Satz - aber was soll er, gerade in Bezug auf Kinder - eigentlich sagen?

Menschen "sind" nicht: fröhlich?, ruhig?, schüchtern?, ängstlich?, laut?, aggressiv?,...

Welche dieser Eigenschaften sind: angeboren?
nicht änderbar?
Wir Menschen (aber auch Tiere), ganz besonders aber Kinder lernen jeden Tag dazu und die Erfahrungen, die wir machen, prägen und justieren unser Verhalten.
Insofern sage ich: du wirst, was du erlebst und lernst.

Wirkliches Selbstbewusstsein kommt aus dem Tun. Das ist bei Kindern genauso wie bei Erwachsenen. Wenn du dir eine schwierige Sache vorgenommen hast, etwas, womit du auch scheitern kannst, dann hart daran arbeitest, dich trotz Rückschlägen wieder aufrappelst, nochmal scheiterst, deine Pläne umstellen musst, aber trotzdem nicht aufgibst und es zum Schluss dann geschafft hast - dann bist du innerlich gewachsen, das schafft eine tiefe Zufriedenheit (für einige Zeit).

Schau dir so einen Zwerg an, der laufen lernt. Wie er unermüdlich ist, auf seinen Windelpo fällt, wieder aufsteht, weitermacht, meckert, heult, unerträglich ist, weil schrecklich unzufrieden und dann: plötzlich hat er den Bogen raus und du hast das sonnigsten, zufriedenste Kind der Welt (für einige Zeit).
Schau dir das Schulkind an, das sich vorgenommen hat vom 3 m-Brett zu springen. Jeden Tag im Schwimmbad guckt er nach oben, wenn denkt, du merkst es nicht. Er ist ziemlich unzufrieden, meckert an allem herum, findet alles blöd (auch unter Erwachsenen sehr verbreitet: wer mit sich und seinem Leben unzufrieden ist, meckert mit anderen Menschen besonders viel).
Als Eltern kann man so reagieren: du bist prima wie du bist, wir lieben dich über alles, niemand braucht von blöden Brettern zu springen.
Was man seinem Kind damit sagt, ist: 1. ich traue dir nicht zu, dass du es hinkriegst und 2. unsere Elternliebe muss dir Erfolg und Selbstwirksamkeit ersetzen.
Zusammengenommen: wir Eltern halten dich klein.

Eltern können aber auch so reagieren: wir fahren morgen schon um 8 Uhr ins Schwimmbad, ich möchte in Ruhe ein paar Bahnen ziehen (in Wirklichkeit, weil dann niemand da ist, der gucken könnte, falls ihn der Mut verlässt).
Du kannst ihm erzählen, wie es dir in einer kritischen Situation ergangen ist, wie du gescheitert bist und wie du gewonnen hast. Aber egal, was du erzählst: was du vorlebst, das gucken sie sich ab. Wenn die Eltern selbst beherzt an eine Sache gehen, dann tun sie das irgendwann auch. Und auf dem Weg dahin dürfen wir Eltern nicht aufgeben an sie zu glauben und sie zu ermutigen.

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Danke für diese tolle Antwort. besonders das „Kleinhalten“ hast du für mich toll veranschaulicht. ich hab leider oft das Gefühl, dass ich ungewollt genau so etwas manchmal mache wie mit dem Schwimmbadbeispiel
ich habe jetzt kein konkretes Beispiel, dennoch fühle ich mich angesprochen

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Bin jetzt keine pädagogische Fachkraft, aber das meiste, was Du an Problemen beschreibst, liegen für mich jetzt im sozialen Bereich bzw. so Sachen, wie eigenen Kopf/Bedürfnisse durchsetzen, egal was andere dabei fühlen.
Das ist ein Stück weit in dem Alter normal, aber bei Deinen wohl recht ausgeprägt. Sie müssen aber einfach auch lernen, eigene Bedürfnisse zurück zu schieben, um sich in eine Gruppe einfügen zu können. Ansonsten drückt nämlich dieses Ausgeschlossen werden auf ihr Selbstwertgefühl.

Meiner Meinung nach muss eben auf langes Trödeln eine Konsequenz folgen, wie dass dann die nachfolgende (angenehme) Aktion ausfällt.

Bei stundenlangem Diskutieren kommt man nicht weiter (auf keinen Fall zum Ziel!) und die Mama verlässt dann auch (weil es irgendwann nervt) den Raum.
Usw.

Wenn sie lernen, gesellschaftliche Regeln einzuhalten (neben Fähigkeiten/Leistungen in anderen Bereichen) bekommen die Kinder Anerkennung von verschiedenen Seiten (natürlich nicht zuletzt von den Eltern) und entwickeln dann von selbst ein gutes Selbstbewusstsein.

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da ist ganz bestimmt was dran u es schmerzt mich zT echt, wenn ich denke,hui sind die grade auf nem Ego-Trip.

der Ältere ist schon deutlich rücksichtsvoller geworden, v a wohl auch woanders mehr als Zuhause (laut Kinderärztin auch ein gutes Zeichen).

Der Jüngere , der naturgemäß oft dem Älteren nachgibt, muss es momentan wohl anderswo stärker rauslassen. da müssen wir aufpassen