Mein Vater - Verhalten

Hallo Zusammen,

gestern gab es bei uns ein Familienfest, auf dem unsere Eltern (beide neue Partner) und Schwiegereltern geladen waren. Mein Vater kam allein, da seine Partnerin verhindert war.

Nun ist es so, dass mein Vater (Anfang 70), besonders bei solchen Gelegenheiten, in einem überdurchschnittlichem Maße um Aufmerksamkeit und Anerkennung ringt.

Dieses Mal ging es schon bei der Begrüßug los...
Mein Schwiegervater reicht ihm die Hand zur Begrüßung und sagt:
"Hallo Heinz, wie gehts? Schön dich mal wieder zu sehen"

Da nutzt mein Vater direkt die Möglichkeit, vor versammelter Mannschaft einen 15-minütigen Monolog über seine Borreliose-Erkrankung von vor ein paar Monaten zu berichten inkl. dem Hinweis, dass die Erkrankung nur durch seine eigene Recherche entdeckt wurde, da die Ärzte heutzutage nicht zu einer richtigen Diagnose fähig seien usw.

(Ich selbst, verstehe das "wie gehts" bei einer Begrüßung eher als Höflichkeitsfloskel, auf die man bei Menschen, denen man nicht nahe steht, mit "Gut, danke. Und selbst?" antwortet. Wie is das bei euch?)

Während der Feier nutzte er weiterhin jede Gelegenheit, um das Gespräch irgendwie auf seine Talente zu lenken. Er zeigt dann z. B. plötzlich (völlig aus dem Gesprächs-Kontext gerissen) Fotos seiner selbst gemachten Stuck-Zimmerdecke rum und hat auch schon desöfteren (ausgedruckte) Fotos seiner Ölgemälde dabei gehabt, um diese ebenfalls durch die Runde zu schicken, stets mit der Hoffnung auf Lob und Anerkennung.
Er hat zweifelsfrei viele Talente, aber die Art und Weise, wie und wann er davon berichtet, wirkt sehr "ich-bezogen".

Ich sprach ihn schon mal direkt darauf an, warum er denn immer so "offensiv" (und vor allem ohne Kontext zum Gesprächsinhalt) auf seine Talente hinweisen muss. Verständlich, dass man sich auch mal Anerkennung von Außen wünscht, aber man könnte solche Dinge doch auch einfach ins Gespräch einfließen lassen, wenn es dazu passt. Und wenn nicht, dann nicht.
Er meinte dann zu mir, dass sonst nie jemand erfahren würde, was er alles kann, wenn er nicht selbst davon anfängt.

Das letzte Mal hatte er sogar spontan sein Akkordeon dabei, um ein Geburtstagslied für unsere Tochter anzustimmen. Versteht mich nicht falsch, das war sehr nett von ihm. Das Problem ist aber, dass er dann leider kein Ende mehr findet.#schwitz
Nach 4 oder 5 Liedern, sah ich meinen Schwiegereltern schon an, dass sie jetzt eigentlich genug haben, aber er hörte einfach nicht mehr auf zu spielen.
Unsere Tochter meinte dann irgendwann, dass es ihr zu laut sei und mein Mann musste mit ihr dann sogar den Raum verlassen...für meinen Vater kein Grund, zum Ende zu kommen. Solange irgendjemand am Ende des Liedes klatscht, ist das für ihn ein Zeichen, direkt weiterzumachen.

In solchen Situationen muss ich dann immer sehr direkt werden, weil er ganz Offensichtlich keine Körpersprache deuten kann und es tut mir im Nachhinein auch immer leid, dass ich so "ernst" werden muss. Aber wenn ich ihm etwas ganz sanft durch die Blume sage, versteht er es einfach nicht.


Er meint es auch nicht böse uns ist ein guter Mensch mit vielen Talenten. Es tut mir nur leid zu sehen, wie er sich mit seinem Verhalten immer irgendwie selbst zum Apfel macht, weil er die Menschen nicht lesen kann.

Was meint ihr dazu, woran könnte das liegen? Das Alter? Eine Art Autismus?
Kennt ihr sowas auch? Wie reagiert ihr?


Wenn seine Lebensgefährtin dabei ist, ist es viel besser, weil sie ihm dann etwas Einhalt gebietet und ihm kurz ins Ohr flüstert, dass sein Durchfall von letzter Woche, kein allzu guter Gesprächstoff während dem essen ist.

Viele Grüße

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Ich musste gerade sooo lachen. In der Familie haben wir kein solches Exemplar, aber im Verein. Auch älterer Herr, steht gerne im Mittelpunkt und da er sonst nicht viel hat, sind es die Krankheiten, ohne Pardon, von der Darmspiegelung bis zum Eiterzahn.

Ich mag ihn trotzdem und bin die Einzige, die auf die Uhr guckt, wenn er anfängt. Nach genau 15 Minuten sag ich zu ihm so oder ähnlich: " A. so nun ist Schluss, wir wissen nun alles und bevor noch einer neben den Tisch reiert bei deinen Beschreibungen, hörst du auf, Prost" und wir trinken mit ihm.
Klappt ganz gut, er braucht die ganz klare aber humorvoll verpackte Ansprache, vielleicht Dein Vater auch mal. Sanft zieht ja nicht.
LG Moni

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Danke Dir!:-)
Hach, im Grunde hab ich das schon alles probiert...

Wenn ich ihm sage, dass er mit seinen Darmproblemen jetzt lieber nicht weiter ins Detail geht und wir jetzt mal gemeinsam anstoßen, meint er nur: "Wieso? Das kann man doch sagen.", oder "Darüber kann man doch offen reden."

Ja, kann man, muss man aber nicht.#schwitz

Aber trotzdem danke!
Ich versuche es zukünftig mit mehr Humor zu nehmen... Er selbst kommt ja gut klar, so wie er ist.


PS: Vielleicht ist mein Vater dein "Exemplar" aus dem Verein. Wir wohnen in BaWü.;-)

Liebe Grüße

Bearbeitet von Zensi
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Nein, mein Kandidat kann nicht Akkordeon spielen. 😄

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Meine Mutter ist ähnlich.
Und auch mein Vater.
(Ebenfalls getrennt).

Während meine Mutter stundenlang über die gute-alte-Zeit philosophiert packt mein Vater seine Golfschläger aus um den Kindern beim Minigolf mal zu zeigen, wie das "richtig" geht.

Mein Schwiegervater ist ähnlich. Da kann ich aber keine Situation nennen, wo mir so etwas negativ aufgefallen ist. Weil: ich glaube man geht mit den eigenen Eltern immer härter "ins Gericht" wie mit fremden Personen. Ich versuche mir in solchen Situationen immer bewusst zu machen, dass es meine Eltern sind, nicht ich. Sie sorgen mit IHREM Verhalten für Verwunderung. Du bist nicht dafür verantwortlich. Grenze Dich ab und versuche, ihm die Aufmerksamkeit zu gönnen. Wenn es zu musikalisch wird, dann hilft vielleicht die Methode, wie bei Kindern: "So Heinz, ein Lied noch aber dann ist Schluss. Wir wollen uns noch unterhalten".

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"So Heinz, ein Lied noch aber dann ist Schluss. Wir wollen uns noch unterhalten"

Genau das hatte ich ihm dann auch gesagt, nachdem er es durch die Blume nicht verstanden hatte. Dennoch wollte er nicht aufhören, weil meine Schwiegereltern nach jedem Lied kurz geklatscht haben. Für ihn was das eine Aufforderung immer weiter zu machen.

Nur ist es so, dass Klatschen auch ein Zeichen von Höflichkeit ist und nicht unbedingt heißt, dass man immer weitermachen soll. Meine Schwiegereltern saßen direkt vor ihm und er spielte sie an...klar haben sie kurz geklatscht, wenn mein Vater sie in den Liedpausen auffordern ansah.

Es war irgendwie so unangenehm und mein Vater merkt sowas einfach nicht.

Umso mehr ich darüber nachdenke, könnte Autismus tatsächlich in Frage kommen...
Er konnte als Kind immernoch nicht richtig sprechen, als er in die Schule kam, war sehr introvertiert. Lebte als Kind schon in seiner eigenen Blase und hat nur gestickt und gemalt (sehr talentiert, aber dafür große Probleme im Zwischenmenschlichen Bereich).
Er ging auch im Erwachsenenalter nie gerne auf Feste oder Veranstaltungen und tat sich stets schwer mit Smalltalk usw.

Kann natürlich auch alles nur Zufall sein. Ich bin ja kein Arzt.

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Es gibt Menschen, die sind empathischer als andere. Und nicht jeder unsichere, unbeholfene Charakter der sich per Default mit dem Brecheisen ins gleissende Licht der Aufmerksamkeit stellt ist Autist... 🤷🏻‍♀️

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Wenn mich jemand fragt, wie es mir geht, dann sage ich der Person auch wie es mir geht.
Wenn man nur auf die Antwort "gut und selber?" hofft, dann kann man sich die Frage sparen, denn so etwas braucht doch kein Mensch.

Bei allem anderen: Wie ist denn sonst euer Verhältnis? Vielleicht hat er das Gefühl, dass er anders nicht wahrgenommen wird?

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Ja, das sehe ich tatsächlich anders als du.
Es kommt, für mich, immer darauf an, WER fragt.

Eine Person, mit der ich nur 1x im Jahr Kontakt habe, würde ich auf die Frage, wie es mir geht, niemals ehrlich Antworten a la:
"Heute morgen hatte ich ziemlichen Durchfall, aber jetz geht es schon besser."
Mein Vater macht das aber. Genau so!

"Hallo, wie gehts?" ist eine weit verbreitete Höflichkeitsfloskel. In Amerika ist es noch "oberflächlicher" als bei uns, da fragt dich sogar der Tankwart, wie es dir geht und niemand möchte daraufhin deine Krankheitsgeschichte hören.

Es ist natürlich etwas völlig anderes, wenn du von deiner Mutter oder von Freunden gefragt wirst.


Unser Verhältnis ist gut.
Wir wohnen leider recht weit auseinander und sehen uns daher selten.
Ich erkundige mich immer nach seinem Befinden und lobe ihn auch, wenn er wieder etwas schönes gemalt/gewerkelt hat. Alles ganz normal.

Dass er grundsätzlich sehr nach Anerkennung sucht, ist bei ihm aber auch schon immer der Fall. Ich erinnere mich da auch an ein paar entsprechende "Vorfälle" aus meiner Kindheit. Eine Klassenkameradin aus der Grundschule, sagte sogar mal zu mit, dass mein Vater ein Angeber sei. (Damals hatte mein Vater auch versucht, die Familie meiner damalig besten Freundin mit seinem Akkordeonspiel zu beeindrucken und schoss übers Ziel hinaus indem er kein Ende fand.)
Es ist also kein Problem, das direkt mit mir zusammenhängt.

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<<Es kommt, für mich, immer darauf an, WER fragt.

Eine Person, mit der ich nur 1x im Jahr Kontakt habe, würde ich auf die Frage, wie es mir geht, niemals ehrlich Antworten a la:
"Heute morgen hatte ich ziemlichen Durchfall, aber jetz geht es schon besser.">>

Sehe ich genauso.

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Könnte mein Vater sein 😂😂

Ich bremse ihn schonungslos aus, „durch die Blume“ mache ich nicht mehr, seit ich 13 bin. Klappt ganz gut, er nimmt es auch nicht krumm.

Und ansonsten - soll er doch. Grade bei Familienfeiern wissen eigentlich alle, wie mein Vater so ist und können/dürfen selbst Paroli bieten 😊

Ich kenne meinen Vater so, so ist er halt und ich rege mich da wirklich schon lange nicht mehr auf 😂

Ich glaube, dank ihm hab ich die Fähigkeit, eigentlich echt immer ruhig und gelassen zu bleiben, egal, wie Menschen so drauf sind 🤪 kommt mir in meinem Job sehr zugute 😂

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Danke dir! ☺️

Ich hoffe, dass ich mir bei zukünftigen Treffen deine Gelassenheit ebenfalls aneignen kann.
Alles andere macht auch keinen Sinn... ich muss ihn nehmen, wie er ist.
(Sicherlich hab ich auch meine Macken.😅)

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Hey!

Tja, da fällt mir der Brautvater auf der letzten Hochzeit ein, der mit dem Schwiegersohn in einer Band spielt. Dessen Vater hatte eine Rede vorbereitet, danach sollte eine Rede des Brautvaters folgen. "Ich habe keine Rede vorbereitet, aber ich möchte euch zeigen, wie toll C. in der Band spielt- draußen ist ein Konzert vorbereitet." Alle Gäste ströhmten nach draußen, C.s Instrument war auch da- der Brautvater als Sänger so laut, dass man C. im Hintergrund nicht richtig hörte. Nach 30 Minuten sind wir wieder reingegangen, das Konzert ging noch weiter.
Fremdschämen pur.

Mein Vater ist genau so. Er schnappt sich immer "ein Opfer" und labert diesem ein Kotelett an die Backe. Gerne mit Fotos vom Garten, dem Tier, das er füttert, seinem Teich, Boot. Er erzählt die Geschichte meines Elternhauses samt dem Werdegang des Vorbesitzers und dessen Frau. Also Menschen, die seit 40 Jahren nicht mehr leben. Mit Details, die mich aggressiv werden lassen.

Warum er es macht, weiß ich nicht.
Er kann selbst nicht mitreden, wenn andere Menschen sprechen. Das übersteigt seine Konzentrationsfähigkeiten. Gesprächsrunden mit ihm gibt es nicht. Dialoge kann er auch nicht führen, bloß Monologe. Woran es liegt, weiß ich nicht. Ich habe ADHS, er vermutlich auch.
Vielleicht ist es eine Mischung aus Konzentrationsschwäche und Impulsivität. Mimik kann er lesen.

Liebe Grüße
Schoko

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Hat er weniger Kontakte als früher?
Ich kenne es so von meinem Schwiegervater, dass er, seitdem seine Frau gestorben ist, die alles soziale gemanagt hat, kaum noch Kontakte hat.
Er sieht die ganze Woche keinen bekannten Menschen (Verkäufer/Ärzte ausgenommen) und vielleicht alle 14Tage uns oder andere Verwandte.
Da wird dann quasi pausenlos erzählt und gefragt und Witze am laufenden Band gerissen....
Zum Glück nicht in einer Angebertour, aber trotzdem anstrengend....
Irgendwie fehlt da das gesunde Maß.
Ich schiebe es bei uns auf die Einsamkeit und die fehlenden Kontakte.

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1. Im Alter verstärken sich einzelne Persönlichkeitszüge - das ist absolut neurotypisch, um hier mal in die verbreitete Küchenpsychologie zu verfallen.

2. den meisten älteren Menschen fehlt eine Aufgabe und damit Anerkennung - viele Lehrerkollegen, Schauspieler, Politiker fallen in ein Loch nach Rücktritt oder Pensionierung, gerade wenn sie immer im Zentrum standen. Eigentlich gut nachvollziehbar, auch ohne gleich Borderline oder Autismus-Spektrum-Störung zu vermuten.
Sorry, mich nervt es ungemein, wenn bei jedem Pups gleich maximale Abweichungen vermutet werden, bloß weil man mal davon gehört hat. Wer wirklich betroffene Menschen kennt, fasst sich da nur noch an den Kopf.
Ständig wollen alle individuell und einzigartig sein, aber sobald auch nur ein Millimeter Abweichung von der eigenen kleinen Lebenswelt beobachtet wird, werden fröhlich die abenteuerlichsten Vermutungen angestellt - ohne den Hauch einer Expertise - außer vielleicht Netflix-Filmchen.

3. Vielleicht hat die Freundin deines Vaters eine Idee, wo er sich einbringen kann. Fit scheint er ja noch zu sein. Es fehlen so viele Menschen mittlerweile, Ehrenamtliche sind hoch willkommen als Beiräte, in Vereinsvorständen, bei Musikveranstaltungen.....
Sprich doch mal mit ihr.

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Danke, für deinen Input.

Meinem Vater fehlt es nicht an Aufgaben oder Beschäfigung.
Er malt, hat ab und zu Vernissagen und verkauft Gemälde. (Spricht aber kaum selbst mit den Besuchern/Käufern, weil er das nicht kann.) Hinzu kommen Auftragsarbeiten im Bereich der Bildhauerei für die Stadt, Vereine usw.
Zudem spielt er ehrenamtlich bei vielen Veranstaltungen Akkordeon (auf Festen, im Verein, Altenheim usw.) und pflegt, zusammen mit seiner Lebensgefährtin, noch den Schwiegervater in spe, der im selben Haus wohnt und in wenigen Jahren seinen 100. Geburtstag feiern wird... Mein Vater bekocht ihn, wäscht seine Wäsche etc.

Im Grunde ist es eher so, dass er nie Zeit hat.

Dass sich seine Eigenheiten mit dem älter werden verstärken, haben wir auch schon bemerkt. Nicht nur bei ihm, sondern auch bei den Eltern meines Mannes usw. Das scheint eher ein normaler Verlauf zu sein.

"Sorry, mich nervt es ungemein, wenn bei jedem Pups gleich maximale Abweichungen vermutet werden, bloß weil man mal davon gehört hat."

Diese Aussage von dir, empfinde ich als ungerechtfertigt.

Ich habe in keinster Weise, wegen "jedem Pups" eine Maximale Abweichung vermutet. Im Gegenteil. Ich kenne meinen Vater nun seit 42 Jahren und hätte schon viel früher mal daran denken können, dass hinter gewissen Verhaltensweisen auch etwas anderes stecken könnte, als einfach nur ein einzigartiger Charakter.
Es gibt viele Dinge, unter denen mein Vater ein Leben lang gelitten hat, z. B. dass er schon immer Probleme damit hat, mit Menschen zu sprechen und sie zu lesen. Es gab auch Phasen, in denen er kaum noch das Haus verlassen konnte und ohne großartige Diagnose Antidepressiva verschrieben bekam, mit denen alles nur noch viel schlimmer wurde...
Mittlerweile habe ich aber den Eindruck, dass es ihm grundsätzlich gut geht. - Ich sehe ihn aber auch nur sehr selten.

Es ist für mich daher eine Selbstverständlichkeit, dass ich mir als seine Tochter Gedanken mache, ob es für sein teilweise sehr auffälliges Verhalten auch noch andere Ursachen gibt, als die simple Erklärung der Individualität.

Aber das hatte ich im Eingangspost nicht tiefgründig erläutert, somit kannst du das auch nicht wissen.

Bearbeitet von Zensi